Dieser Blogpost wurde zuerst am 20.Februar 2019 auf https://www.travelingtheborderline.com/das-buch-der-stunde-2/ veröffentlicht.
In dieser Kategorie stelle ich in loser Reihenfolge Bücher vor. Bücher, die es sich zu lesen lohnt; die mit den Themen auf diesem Blog zu tun haben; die mir geholfen haben, die bei mir etwas ausgelöst oder verändert haben.
Ich bin keine professionelle Buchkritikerin. Wie eine »gute/richtige« Rezension auszusehen hat, weiß ich nicht. Und darum geht es mir auch nicht. Mir geht es darum, ganz im Sinne des schönen Postkartenspruchs »Glück ist das einzige, was größer wird, wenn man es teilt« mit euch zu teilen, wenn ein Buch, ein Text, ein Autor es geschafft hat, mein Herz, mein Hirn oder im Idealfall sogar beides zu bereichern.
Heute geht’s um »Morgen ist leider auch noch ein Tag – Irgendwie hatte ich von meiner Depression mehr erwartet« von Tobi Katze.
Eine Katze mit Depressionen
Immer wieder bin ich auf diesen Namen gestoßen: Tobi Katze. In diversen Zusammenhängen rund um psychische Gesundheit tauchte er immer wieder auf. Irgendwann bin ich neugierig geworden und habe mir mal angeschaut, wer dahintersteckt. Und siehe da, es ist ein Poetry Slammer, der ein Buch über Depressionen geschrieben hat. Schau mal einer an, das muss die Dommi natürlich lesen. Und hat sie dann nun endlich auch. Aber erstmal noch kurz zum Autor: der Herr Katze ist nur ein paar Jahre älter als ich, geboren 1981. Man darf ihn wohl als Autor bezeichnen, denn er schreibt Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Drehbücher. Aber damit noch nicht genug: seit mehr als zehn Jahren tritt der gute auf Poetry-Slams und Lesebühnen auf. 2007 hat er den LesArt-Preis der jungen Literatur gewonnen und 2014 den Bielefelder Kabarettpreis für sein erstes Bühnenprogramm «rocknrollmitbuchstaben». Wie ich bei meiner kleinen Recherche herausgefunden habe, ist sein Buch sogar ein Bestseller geworden. Na, das sind doch mal gute Nachrichten. Denn darin schreibt er nicht nur über die lustigen Seiten des Lebens, sondern vor allem auch über seine Erfahrungen mit Depressionen. Und das auf selbstironische, unterhaltsame und ehrliche Art und Weise.
Katze schafft es, auch den dunkelsten Seiten der Depression etwas Humorvolles abzugewinnen, ohne dem Thema die Ernsthaftigkeit zu nehmen.
Darum geht’s im Buch
Katze lässt die Leser quasi miterleben, wie die Depression sich in seinem Leben breit macht. Wie sie ihn abwechselnd auf die Couch und das Bett drückt, ihn in seiner Wohnung festnagelt und ihm den Alltag schwer macht. So wie auch mir damals ist dem Autor aber lange nicht klar, was genau dieses Etwas ist, was ihn daran hindert, ein normales, sein gewohntes Leben zu führen. Wir versacken mit Katze, versuchen, Freunden und Bekannten aus dem Weg zu gehen, begleiten ihn zur Therapie, erleben hautnah den Kampf mit, vor den ihn die Krankheit jeden Tag aufs Neue stellt und auch wie sehr er mit der Einnahme von Medikamenten gegen seine Krankheit hadert. Aber: der Humor kommt nie zu kurz. Katze schafft es, auch den dunkelsten Seiten der Depression etwas Humorvolles abzugewinnen, ohne dem Thema die Ernsthaftigkeit zu nehmen. An vielen Stellen darf man es wohl als Galgenhumor beschreiben, was er da so an den Tag legt. Bei den wöchentlichen Therapiesitzungen erleben wir mit, wie dieser Zustand einen Namen bekommt. Und hier und auch im Gespräch mit Freunden erleben wir, wie Katze sich seiner neuen Krankheit nähert. Welche Phasen er dabei mitmacht. Wie er damit umgeht. Eine Situation, für die ich den Autor besonders feiern möchte, ist das Gespräch bei seiner Familie, als er sein „Coming-Out“ hat. Eltern und Schwestern reagieren mit unterschiedlichen Klischees, eines fast schlimmer als das andere. Aber Katze wehrt sich, setzt seinen Eltern entgegen, dass er weder faul noch schwach noch unfähig, sondern einfach krank ist. Setzt nach, als sein Vater ihm quasi automatisch Phrasen hinwirft. Versichert aber auch seiner Schwester, dass er das schon hinbekommen wird. Eine tolle Szene.
Die Depression und die Gummibärchen
Man erlebt im Buch bei Katze Phasen mit, die wohl viele Betroffene so oder so ähnlich kennen. Erst das Unwissen, dann die Abwehr, dann das Verstehen, das dran Arbeiten und irgendwann – hoffentlich – das Akzeptieren. Beim Autor sitzt die Depression ihm irgendwann wie ein imaginärer Freund aus Kindheitstagen gegenüber. Und wie bei einer WG, in der nicht alles rund läuft, aus der aber keiner ausziehen will, geht es um das zukünftige Zusammenleben. Dass es so nicht weitergehen kann und wie es denn stattdessen weitergehen könnte. Dass dieses ständige gegeneinander ankämpfen doch irgendwie ganz schön anstrengend ist und es irgendwie nervt, wenn die Depression Tobi nie die Teller abspülen lassen will. Katze schmeißt die Depression nicht hochkant raus, denn ihm ist klar, dass das so nicht funktionieren wird. Er ignoriert sie aber auch nicht, sondern schaut ihr ins Gesicht. Und findet seine ganz eigenen Mittel und Wege, mit ihr klarzukommen. Und wenn es auch nur heißt, der Depression die Gummibärchen zu kaufen, die sie so gar nicht mag.
Für wen ist dieses Buch?
Nun, aufgrund seiner lockeren und unterhaltsamen Art zu schreiben ist das Buch quasi für jeden geeignet. Besonders aber Betroffene werden hoffentlich Spaß daran haben, Tobi auf seinem Weg ein Stück zu begleiten. Denn am Ende macht es auch ganz schön Hoffnung, kann Mut geben. Für Angehörige ist das Buch vor allem dann geeignet, wenn sie eher Angst oder Respekt vor dem Thema haben und davor, was es mit ihnen machen könnte. Das Buch bietet die Chance, sich mit Depressionen auseinanderzusetzen – und den Humor an seiner Seite zu wissen. Der einem auf schwierigeren Seiten zur Seite steht und einen weiterzieht. Besonders die Beschreibung der Lähmung, der Schwere, der Isolation die Depressionen mit sich bringen können, ist Katze gut gelungen. Wie sehr diese Krankheit die Gedanken verdrehen und verdunkeln kann, so dass „gesunde“ Menschen es nur schwer nachvollziehen können. Mit diesem Buch gelingt das vielleicht ein wenig besser.
Ausschnitt
An dieser Stelle noch ein kleiner Ausschnitt aus dem Buch. Beim Lesen dieser Worte habe ich laut „Danke!“ gesagt, weil Katze mir so aus dem Herzen spricht. Und schmunzeln musste ich natürlich auch. Wie des öfteren, bei der Lektüre des Buches. Hier befinden wir uns schon recht weit hinten im Buch, Tobi hat sich sozusagen an seine Depression gewöhnt, geht recht offen damit um ist offensichtlich nicht ganz zufrieden mit den Reaktionen, die er bekommt: „Warum nicht?“, unterbreche ich sie. „Soll ich mich jetzt irgendwie schämen oder so was?“ „Ja nee, eigentlich nicht.“ „Nicht nur eigentlich nicht, sondern überhaupt nicht. Was machen die Leute immer für eine riesen Welle, wenn’s darum geht, dass man ein bisschen verrückt ist? Also, dass man vielleicht nicht ganz so funktioniert, wie andere das tun? Ist das echt so beängstigend? Oder ist das Engstirnigkeit? Ich versteh’s nicht, wirklich. Ich versteh’s einfach nicht. Ich hab eine psychische Erkrankung. Kein ‚psychisches Problem‘, und ich bin auch nicht ‚zart besaitet‘ und keine ‚Mimose‘. Ich hab einfach eine Krankheit da, wo man eine Krankheit eben nicht sieht, sondern nur merkt. Und ich habe keinen Bock mehr auf irgendwelche Arschgeigen, die ungefragt auf mich zukommen und mir entweder verklickern wollen, dass eine Depression eigentlich keine Krankheit ist, sondern nur ein Ausdruck meiner eigenen Unfähigkeit oder Unlust, oder mir sagen, ich solle doch bitte woanders krank sein und nicht durch meine offensichtliche emotionale Einschränkung für Unwohlsein in der Bevölkerung sorgen oder gar den Betrieb aufhalten. Genauso wenig Bock habe ich auf Internetkommentare wie: ‚Ich will ja nichts sagen, aber früher hätte man so was wie dich ertränkt und gut.‘ Hab ich keinen Bock mehr drauf. Ich bin nicht mal sauer, ich bin einfach nur genervt. Mich macht das traurig. Sich ständig erklären zu müssen und behandelt zu werden, als würde man sich durchmogeln wollen – zum Kotzen ist das. Ich will auf die ganz sachliche Ansage ‚Ich habe eine Depression‘ einfach kein: “Ah, ich versteh schon, ich bin auch manchmal traurig. Zwinker, zwinker”hören. Und auch kein: “Wenn ich wegen einer Depression später oder gar nicht aufstehen muss – ich glaub, dann will ich auch Depressionen haben.” Das ist doch, als würdest du zu Wolfgang Schäuble sagen: “Na, wenn Sie sich mal nicht mit Absicht haben niederschießen lassen, damit Sie in der Oper nur die Hälfte zahlen, Sie Schlingel.” Ja, richtig, das wäre extrem daneben. Aber bei mir darf man das, oder wie? Pfeif auf die hohe Suizidrate, weil die Depression alles auffrisst, was man irgendwie noch Leben nennen kann. Denn da sagt keiner: “Wow, wenn ich deshalb morgen nicht zur Arbeit muss – bring ich mich auch um.” Warum seid ihr Arschlöcher da nicht konsequent, hm? Versteh ich nicht, den Umgang, sorry. Ergibt einfach keinen Sinn für mich.“
Ich nehme einen langen, tiefen Schluck Alkoholfreies. „Wollte ich mal gesagt haben“, schiebe ich hinterher. „Ja, okay“, nuschelt Meret etwas kleinlaut. „Das ist verständlich. So hab ich das noch nie gesehen.“ „Und das ist auch voll okay, das noch nie so gesehen zu haben. Aber man kann sich ja einfach mal ändern.“
Tobi Katze – Morgen ist leider auch noch ein Tag, S. 216-217 Coverfoto Tobi Katze – Morgen ist leider auch noch ein Tag | by Rowohlt
»Morgen ist leider auch noch ein Tag – Irgendwie hatte ich von meiner Depression mehr erwartet« von Tobi Katze
Verlag: rororo; Erscheinungstermin: 25.09.2015; 256 Seiten
ISBN: 978-3-499-62927-3 Originalausgabe EUR 18,90 € DE, EUR 19,50 € A